Vom Glück, eine neue Familie zu finden

Mutig und durchsetzungsstark – das sind Eigenschaften, die auf Shabnam zutreffen. Die gebürtige Iranerin hat bereits eine bewegende Geschichte hinter sich, doch man merkt ihr an: In ihrer neuen Heimat Osnabrück ist sie nach einem holprigen Weg angekommen, hier fühlt sie sich wohl. Seit 2016 lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in der Stadt und hat in einer evangelischen Paulusgemeinde eine Familie gefunden.

Doch diese positive Beziehung zur Religion hatte sie nicht immer: Im Iran setzt die Sittenpolizei strenge islamistische Regeln durch, die die Bevölkerung unfrei und in Angst leben lassen. Frauen müssen lange Mäntel tragen und ihre Haare verhüllen, Alkohol und Partys sind genauso verboten wie Treffen mit Personen des anderen Geschlechts außerhalb der eigenen Familie. „Trotz allem hatten wir zunächst ein gutes Leben“ sagt Shabnam im Rückblick.

Doch Shabnams Mann, ein Geschäftsmann, handelt auf dem Basar und in seinen Geschäften auch mit jüdischen Kunden und solchen, die der Bahá’i-Religion zugehörig sind. Das passt der Moralpolizei nicht: Mehrfach wird sein Geschäft stillgelegt und er muss Strafen zahlen. Auch dass er kürzere Mäntel entwirft und bunte Stoffe verwendet, wird von den Sittenwächtern bestraft – entsprechen sie doch nicht der strengen Kleiderordnung der Islamisten. Shabnam wird mehrfach verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen hat und entkommt nur gegen die Zahlung von hohen Kautionen den angedrohten Peitschenhieben. Die Lage wird zunehmend gefährlicher für die gesamte Familie und 2016 beschließt die Familie bei einem Besuch in Deutschland, dass sie nicht in den Iran zurückkehren können. Sie kommen in Osnabrück bei Verwandten unter.

Foto: Ma’an Moussli/Nun Kreativa

Weil die Familie in ihrem Heimatland dauerhaft in Gefahr leben würde, stellen sie alle einen Asylantrag. Doch für das offizielle Asylverfahren muss die Familie in die LAB in der Sedanstraße ziehen und dort die Wartezeit verbringen. In der Unterkunft lernen sie ein Pastorenehepaar kennen, das die in den Farsikreis ihrer Gemeinde einlädt. Shabnam ist zunächst skeptisch: Warum sollte die Gemeinde mich, eine Muslima, bei ihnen willkommen heißen? Doch schnell zeigt sich das Gegenteil: Shabnam und ihre Familie werden herzlich aufgenommen und erfahren viel Unterstützung, finden eine tolle Gemeinschaft, wollen ihr neues Leben in Deutschland endlich beginnen, Arbeit finden, zur Schule gehen.

Doch das Asylverfahren dauert viele Monate – Zeit, die Shabnam nicht verschwenden will. Ihre Tochter meldet sie daher kurzerhand in der Schule an, obwohl das für Kinder in Aufnahmebehörden eigentlich nicht möglich ist. „Sie muss doch lernen!“ sagt Shabnam und setzt durch, dass ihre Tochter die zweite Klasse einer Grundschule besuchen darf. Kurz nach Beginn des Schuljahres aber folgt der Schock: Der Asylantrag der Familie wird abgelehnt, die Familie soll zunächst in eine Sammelunterkunft nach Stade gebracht und dann zurück in den Iran ausreisen. Für alle drei ist klar, dass es ein Zurück nicht geben kann und gemeinsam mit einem Rechtsanwalt legen sie Einspruch gegen den Asylbescheid ein. Und auch die Verlegung nach Stade wollen sie nicht, haben sie doch ein tolles Netzwerk an Unterstützer*innen und vor allem geht ihre Tochter hier in Osnabrück in die Schule! Es steht außer Frage, dass Shabnam alles in Bewegung setzt, damit ihre Familie in Osnabrück bleiben darf. Eine Voraussetzung dafür: Die Familie muss eine eigene Wohnung finden, eine große Herausforderung! Doch auch hier hilft ihr die Paulusgemeinde: Sie schaffen es tatsächlich, eine kleine Wohnung für die Familie zu finden, die allerdings in einem schlechten Zustand ist. Nach einigen Renovierungen und viel Gemeinschaftsarbeit kann die Familie einziehen und wirklich in Osnabrück ankommen. Sie werden Mitglieder der Paulusgemeinde, die sich nach dem Umzug nun ganz in der Nähe befindet.

Jetzt fehlt nur noch eins – ausgerechnet die wichtigste Entscheidung über das Leben der Familie. 2019 findet nach Jahren des Wartens endlich die Gerichtsverhandlung über den Einspruch gegen den abgelehnten Asylantrag statt. Muss die Familie Osnabrück wieder verlassen? Auch in der nervenaufreibenden Zeit der Verhandlung kann sich die Familie wieder auf ihre Gemeinde verlassen: Zur Unterstützung nehmen zahlreiche Gemeindemitglieder an der Gerichtsverhandlung teil. Shabnam sagt im Rückblick: „Im Glauben, in meiner Gemeinde, die mich so offen aufgenommen hat, habe ich Liebe gefunden.“

Die Richterin erkennt an, dass Shabnam und ihre Familie nicht zurück in den Iran reisen können, nicht zuletzt auch wegen ihres christlichen Glaubens. Die Familie darf in Deutschland bleiben.

So kann das zweite Leben von Shabnam und ihrer Familie beginnen. Sie arbeitet inzwischen bei einem ambulanten Pflegedienst und als Dolmetscherin, ihre Tochter schreibt zum Stolz ihrer Mutter gute Noten in der 8. Klasse des Gymnasiums und hat nette Freundinnen gefunden. Ihr Mann hat eine Bäckerei in Osnabrück eröffnet.

Eine große Konstante der drei, ihre zweite Familie, ist die Paulusgemeinde. Die drei lassen sich taufen und Shabnam wird Mitglied im Kirchenvorstand. „Ich habe als Mitglied des Farsi-Kreises angefangen und nun leite ich ihn“ erzählt sie lachend und ergänzt: „ich bin ein neuer Mensch geworden.“

Zum Fototermin bringt Shabnam eine Kette mit, an der ein Kreuz hängt – ein Anhänger, der ihr sehr wichtig ist, hat sie im christlichen Glauben doch so viel Gemeinschaft, Zuversicht und Verständnis gefunden. Aber auch das Band der Kette und ihr ursprünglicher Anhänger haben eine besondere Geschichte und spiegeln einen Teil von Shabnams Vergangenheit wider. Die Kette besteht aus Perlen aus persischem Türkis mit einem Anhänger, der einen Vogel im Käfig zeigt. Viele iranische Mädchen bekommen traditionell die Morghe Amin Kette geschenkt, die im Land sehr bekannt ist. Für Shabnam zeigt sie ihre eigene Geschichte: Ihre iranische Herkunft und ihren neuen Glauben, in dem sie eine neue Heimat gemeinsam mit ihrer Familie in Osnabrück gefunden hat.

Text: Luca Wirkus/Exil e.V.