Dem Regime entkommen, um endlich ohne Angst zu leben

„Wir wollen nur keinen Krieg mehr, wir wollen einfach ohne Angst in Frieden leben“ sagt Sahar über sich und ihren Mann. Denn Sahar und Reza, die eigentlich anders heißen, haben eine schwere Geschichte hinter sich, über die Reza bis heute nicht sprechen kann. Sahar hingegen ist froh, dass ihr zugehört wird, wenn sie ihre bewegende Geschichte der Flucht erzählt.

Die Eheleute kommen aus Syrien und leben seit einigen Monaten einer Erstaufnahmebehörde in Norddeutschland. Hier warten Sie auf das Verfahren für ihren Aufenthaltstitel. Denn klar ist: Zurück in ihre Heimat können die beiden nicht, weil ihnen dort Gefängnis droht.

Doch von Beginn an: Sahar ist 26 und arbeitet als Radiologin, als sie Reza kennenlernt. Er arbeitet als Offizier beim Militär. Die beiden verlieben sich, wollen heiraten. Die Lage in Syrien ist schon damals nicht friedlich, der Arabische Frühling hat im Jahr 2011 auch Syrien erreicht. In zahlreichen Städten protestieren Menschen gegen das Regime, befeuert auch von Armut und Wut auf die korrupte Regierung. Reza soll bei einem Einsatz gegen Demonstrierende eingesetzt werden, aber kann das mit seinem Gewissen nicht vereinbaren – die Menschen haben doch Recht! Er desertiert. Doch das bringt ihn in Gefahr, denn Deserteuren drohen in Syrien lange Haftstrafen. Reza will nach Europa fliehen und wendet sich an Schlepper, die die Flucht organisieren sollen.

Doch diese betrügen ihn um sein Geld und tauchen ab – Reza muss weiterhin in Syrien bleiben und hoffen, dass er nicht entdeckt wird. Sahar und Reza leben in Angst um die eigene Sicherheit und schließlich passiert 2012 das, was die beiden am meisten fürchten: Reza wird aufgegriffen und verschleppt. Für Sahar beginnt eine schreckliche Zeit. Sie macht sich Sorgen über ihren Mann, weiß nicht, wo er ist, oder ob er überhaupt noch am Leben ist. An offiziellen Stellen wird ihr erzählt, dass er tot sei.

Foto: Ma’an Moussli/Nun Kreativa

Doch das glaubt sie nicht: „Ich habe die ganze Zeit gespürt, dass er noch da ist, dass er noch lebt.“ Gemeinsam mit ihren Schwiegereltern sucht sie nach Reza. Doch das ist auch für sie nicht ungefährlich: Das syrische Regime ist nun auch auf Sahar selbst aufmerksam geworden, auch sie hat das Gefühl, dass sie nicht mehr sicher ist. Ihre Geschwister, die selbst schon nach Europa geflohen waren, machen sich Sorgen um sie, wollen, dass sie nachkommt. Doch für Sahar steht fest: Solange sie nicht weiß, wo ihr Mann ist, wie es ihm geht, will sie Syrien nicht verlassen, obwohl es für sie immer gefährlicher wird.

An einem Morgen im Herbst 2014 passiert dann genau das, was Sahar und ihre Familie am meisten fürchten: Auf dem Weg zur Arbeit wird sie an einem Checkpoint des Militärs verhaftet. Sahar wehrt sich, schreit, bittet umstehende Passant*innen darum, ihre Eltern zu informieren. Sie spürt, dass sie ihre Eltern erst einmal nicht wiedersehen wird. Und so ist es auch: Sie kommt in Haft, muss mit 17 weiteren Frauen in einem Raum ausharren, erfährt Gewalt und Misshandlung, wird traumatisiert. Die Hoffnung, gemeinsam mit ihrem Mann zu entkommen, ist das einzige, das sie durchhalten lässt. Nach einem halben Jahr kommt sie frei und flieht, kommt im Nachbarland Libanon unter. Tag und Nacht arbeitet sie, um Geld für Rezas Freilassung und seine Ausreise in den Libanon zu verdienen. 2015 gelingt ihm genau das und Reza und Sahar sind endlich wiedervereint. Doch die Freude ist getrübt, sie leben im Libanon weiterhin in Gefahr, weil das syrische Regime auch dort Menschen verfolgt. Außerdem leiden die beiden unter der ausländerfeindlichen Stimmung im Land. Beide arbeiten viel, aus Angst nimmt Reza aber keine offiziellen Jobs an, sondern hangelt sich von einer schlechten Aushilfstätigkeit zur nächsten. Sahars Familienmitglieder, die bereits in Deutschland leben, versuchen die beiden nachzuholen. Das gelingt erst 2022, die beiden können über Italien schließlich nach Deutschland reisen. Endlich!

Angekommen in Deutschland, wollen die beiden nach Jahren des bloßen Überlebens endlich ein richtiges Leben beginnen. Doch auch hier heißt es warten: Die Sprach- und Integrationskurse sind überfüllt, die Klärung des Aufenthaltstitels dauert seit Monaten. „Diese lange Wartezeit, ohne etwas tun zu dürfen, macht uns fertig“ sagt Sahar, „dabei wollen wir doch nichts lieber als Deutsch lernen und einen Job oder auch einen Ausbildungsplatz finden.“ Doch vor allem wollen die beiden eins: Endlich ohne Angst in Frieden leben, nach Jahren der Flucht und des Versteckens. Von den Menschen in Deutschland erhofft sie sich mehr Akzeptanz und Offenheit: „es sind vielleicht auch einzelne schlechte Menschen gekommen, aber die meisten sind doch gut, gebt uns eine Chance, wir wollen einfach in Freiheit und ohne Krieg leben“ sagt sie zum Abschluss und klingt erschöpft.

 

*Namen und Daten zur Wahrung der Anonymität geändert.

Text: Luca Wirkus/Exil e.V.