Aus Bangladesch nach Hannover
Das Gespräch mit Fatema führen wir am späten Nachmittag: Wir haben uns am Telefon verabredet und sie erzählt, dass sie momentan ein Praktikum macht und gerade nach Hause gekommen ist, endlich Feierabend hat. Ihre Kolleg*innen sprechen sehr schnell, da ist es anstrengend mitzukommen, jedes Wort zu verstehen. Trotzdem gefällt ihr ihre Ausbildung als Pflegehelferin, die sie im vergangenen Jahre begonnen hat, sehr. Obwohl sie ist geschafft ist vom Tag, möchte sie von ihrer Geschichte und ihrem Schicksal erzählen – denn Fatema wurde als Jugendliche Opfer eines Säureangriffs und hat bis heute mit den Folgen zu kämpfen. Sie ist jetzt, auch 30 Jahre später, noch von den den Verletzungen gezeichnet und möchte deshalb, aber auch weil sie noch immer Angst hat vor ihrem Peiniger, anonym bleiben. Auch ihr Name ist eigentlich ein anderer.
Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Zahl der Säureattentate so hoch wie in Bangladesch. Die Opfer sind zu einem großen Teil junge Frauen oder Mädchen, oft weil sie Heiratsangebote oder Annäherungen der Täter verweigern, aber auch Familienstreitigkeiten können ein Grund für einen Säureanschlag sein. Die Folgen spüren die Betroffenden ihr Leben lang: Die Säure zerstört die Haut, kann zu Erblinden führen und stigmatisiert dauerhaft.
So ging es auch Fatema: Als sie jugendlich war, bedrohte der Täter ihre Familie und verfolgte sie, bis er sie schließlich attackierte und ihr Batteriesäure ins Gesicht schüttete. Nach dem Anschlag war sie zunächst 3 Monate im Krankenhaus. Seitdem ist ihr Gesicht von dem Anschlag gezeichnet. Der Täter wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt – ist inzwischen aber wieder frei und peinigt und terrorisiert die Familie erneut.
Fatema lebt in Angst in einem kleinen Dorf in Bangladesch. Während dieser Zeit trifft Fatema zufällig eine Touristin aus Deutschland, das Land zu der Zeit bereist. Die beiden kommen ins Gespräch und Fatema erzählt ihre Geschichte. Es stellt sich heraus, dass die Touristin aus Halle stammt und dort Medizin studiert. Sie möchte Fatema helfen, nach Deutschland zu reisen um hier medizinische Versorgung zu erhalten. So kommt es dann auch. Fatema reist mehrfach für Behandlungen nach Deutschland. Doch um wirklich sicher vor dem Täter zu sein, muss sie da Land dauerhaft verlassen – schweren Herzens entscheidet sie sich also dafür, mit ihren beiden Söhnen nach Deutschland zu fliehen, ihr Mann bleibt zunächst zurück in Bangladesch.
Die ersten Wochen in Deutschland sind sehr schwer für die Mutter und ihre beiden Söhne. Sie werden in einer Sammelunterkunft in Braunschweig untergebracht. Es herrscht ein raues Klima und den dreien schlagen viel Ablehnung und wenig Hilfsbereitschaft entgegen. Fatema kann sich nicht verständigen und fühlt sich sehr allein. Glücklicherweise hilft ihr die Touristin, die sie bereits in ihrer Heimat kennengelernt hatte, bei ihrem Asylantrag. Der Transfer in das Grenzdurchgangslager Friedland ist ein weiterer glücklicher Zufall: Im dortigen Frauenzentrum hat Fatema die Möglichkeit Deutsch zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Besonders mit der Lehrerin Elke versteht sie sich gut und Fatema erfährt viel Unterstützung. Fatema sagt aber auch: Die deutsche Kultur ist ganz anders und manchmal so schwer zu verstehen, da braucht es Menschen wie Elke, die unterstützen.
Wenn sie an die Zukunft denkt, denkt Fatema an ihre Schwester und Mutter in Bangladesch, hofft, dass sie in Sicherheit leben können. Vor allem aber denkt sie an ihren Mann und wünscht sich, endlich wieder mit ihm zusammen sein zu können und eine Familienzusammenführung beantragen zu können. Auch ihre beiden Söhne vermissen den Vater. Die drei leben inzwischen in einer Unterkunft in Hannover, wo auch Fatemas Ausbildungsort liegt. „Für meine Söhne und meinen Mann muss ich stark sein“, sagt sie und bleibt hoffnungsvoll: „Eines Tages werde ich mit meinem Mann und meinen beiden Söhnen zusammen in Deutschland leben können.“
Text: Luca Wirkus/Exil e.V.