Als Margarita im Sommer 2015 mit ihrem Mann und den drei Kindern in Deutschland ankommt, trägt sie nur zwei Koffer in der Hand und eine große Hoffnung im Herzen. „Wir dachten, wir würden arbeiten, alles würde normal sein“, erinnert sie sich. Doch schon nach wenigen Stunden im Land merkt sie: Nichts ist einfach, wenn man als Geflüchtete ankommt.

Der erste Halt ist ein überfülltes Lager in Neumünster. „Wir mussten unter dem Dach schlafen, mit offenen Fenstern. Mein Sohn bekam Lungenentzündung. “Danach Erstaufnahmeeinrichtung Braunschweig: Zelte, Kälte, kein Platz. Margarita sitzt mit einem fiebernden Kind auf dem Arm und fleht um ein Bett. Am Ende bekommt sie eines in einem Raum mit 30 Menschen. „Ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte“, sagt sie leise. „Aber Mütter finden immer eine Lösung.“
Die Familie wird nach Schwarmstedt geschickt. Dort beginnt ein langes Warten auf Asyl, auf Sicherheit, auf ein Stück Normalität. Die Kinder besuchen die Schule, lernen schnell Deutsch, überspringen Klassen, holen Medaillen beim Schwimmen. Margarita selbst darf nicht arbeiten, nicht lernen, nicht planen. „Ich wollte einen Sprachkurs machen, aber drei Jahre lang durfte ich keinen Kurs besuchen. Immer hieß es: “Kein Pass, kein Sprachkurs!”
Dann erkrankt ihr jüngstes Kind schwer. Die Behörden drohen trotzdem mit Abschiebung. „Ich hatte solche Angst, dass sie nachts kommen und uns holen. Ich hatte immer einen gepackten Koffer neben dem Bett.” Es ist die schwerste Zeit ihres Lebens. Und doch verliert Margarita nie ihren Mut. Sie kämpft für ihr krankes Kind, für ihre Familie, für ein Leben ohne Angst. Schließlich, nach eineinhalb Jahren, wird ihr Fall als Härtefall anerkannt. Zum ersten Mal seit der Flucht kann sie aufatmen. „Das war mein erster Moment von Freiheit “, sagt sie.

Foto: Maan Moussli

Margarita war in Georgien Zahnärztin. In Deutschland aber wird ihr Diplom nicht anerkannt. „Das war bitter. Sieben Jahre Studium und hier zählt das nichts. “ Trotzdem gibt sie nicht auf. Nach dem Sprachkurs, den sie mit 97 Prozent besteht, absolviert sie ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis. Dort erkennt der Chef ihr Engagement und bietet ihr eine Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte an.

„Ich war schon über vierzig “, erzählt sie lachend, „und meine Mitschüler*innen waren Teenager. Sie lachten über mein Deutsch, und ich verstand kaum etwas. Ich wusste, was ein Kiefer ist, aber nicht, wie man das auf Deutsch sagt.“ In den ersten Monaten weint sie oft, will aufgeben. Aber dann erinnert sie sich an ihre Kinder. „Ich wollte ihnen zeigen, dass ich es kann, dass wir es schaffen. “

Sie kämpft sich durch deutsche Fachbegriffe, Prüfungen, den Alltag zwischen Familie, Krankheit und Bürokratie. Nach drei Jahren hält sie ihr Abschlusszeugnis in den Händen. „Ich habe drei Stunden lang geweint“, sagt sie. „Für mich war das wie ein Nobelpreis.“

Heute arbeitet Margarita fest in einer Zahnarztpraxis. Sie lacht viel, auch über die Missverständnisse, die ihr am Anfang passierten. „Der Arzt sagte einmal: “Margarita, kommst du zurecht?” Und ich dachte, er will, dass ich nach rechts gehe! Wir haben alle so gelacht.“ Humor, sagt sie, sei ihr Rettungsanker gewesen. „Wenn man nicht lachen kann, geht man kaputt.“

Ihre Kolleginnen schätzen sie längst als erfahrene und warmherzige Fachkraft. Viele Patient*innen suchen gerade sie auf, weil sie mitfühlend und ruhig ist. „Ich kann verstehen, was Menschen meinen, auch wenn sie es nicht perfekt ausdrücken. Weil ich selbst einmal so war . Womöglich habe ich zudem eine gute Sprachintuition, was mir sehr hilft im Umgang mit internationalen Patient*innen.“

Margaritas Kinder sind inzwischen Jugendliche. Alle drei besuchen das Gymnasium. „Wenn ihre Lehrer mich sehen, sagen sie: Wir haben damals richtig entschieden, diese Kinder aufs Gymnasium zu schicken“, erzählt sie stolz. Zu Hause sprechen sie Deutsch, denken Deutsch, träumen auf Deutsch. Georgien ist für sie ein fernes Land aus Geschichten und Fotos geworden. „Sie sagen, sie wollen dort Urlaub machen, aber leben wollen sie hier. Deutschland ist ihr Zuhause.“

Margarita selbst hat gelernt, in zwei Welten zu leben: der georgischen und der deutschen. „Ich bin dieselbe geblieben, aber meine Werte haben sich verändert. Früher war mir Karriere wichtig, jetzt ist es Familie, Gesundheit, Frieden.“ Sie hilft heute anderen Geflüchteten aus der Ukraine, begleitet sie zu Ämtern und übersetzt Formulare. „Ich weiß, wie es ist, wenn man vor einem Formular steht und nichts versteht. Ich war auch dort.“

Als Mutter, Ehefrau, Arbeitnehmerin und eine Frau mit Migrationserfahrung jongliert Margarita täglich mit verschiedenen Rollen. „In der Praxis bin ich freundlich, professionell. Zu Hause bin ich strengere Mama. Und bei den Behörden muss ich kämpfen.“ Sie lacht. „Ich bin viele Margaritas.“

Diese Vielseitigkeit hat sie stark gemacht. „Ich habe gelernt, wie man hier lebt”, sagt sie. „Und ich bin dankbar. Es gibt in Deutschland viele gute Menschen. Wenn sie sehen, dass du etwas willst, helfen sie dir.”

Margarita ist heute eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und mit offenem Herzen. Sie hat keine Angst mehr vor Briefen von der Ausländerbehörde. Ihr Humor ist geblieben, ihr Lächeln auch. „Ich wünsche mir für die Zukunft nur eines“, sagt sie. „Mehr positive Menschen um mich herum. Ich kann alles schaffen, wenn mein Herz ruhig ist.“
Mit Mut, Beharrlichkeit und einem Lächeln konnte sie selbst in der Fremde ein Zuhause finden.

Text: Aigün Hirsch/Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.

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