In meinem Herkunftsland bedeutet es Lebensgefahr, homosexuell zu sein
Die Erinnerungen an die Zeit in dem Erstaufnahmelager sind verschwommen, aber eines bleibt klar: Die Angst war allgegenwärtig. Ständig war da die Unsicherheit, ob er in Deutschland bleiben oder in ein anderes EU-Land abgeschoben werden würde. „Ich hatte das Gefühl, dass ich keinen einzigen Tag sicher sein konnte“, erinnert er sich. Diese Ungewissheit machte es schwer, sich wirklich irgendwo in Sicherheit zu fühlen. Kontakte zu den anderen Geflüchteten hielt er auf Distanz, vorsichtig und bedacht. Er aß oft allein, doch manchmal setzten sich andere zu ihm. Das Einzige, was in dieser Zeit positiv war, war die Unterstützung durch einen Therapeuten und ein paar Orte im Camp, an denen man sich zumindest kurz erholen konnte. Friedland war nur eines von mehreren Lagern, in denen er untergebracht war. Jedes hatte seine eigene Geschichte. Besonders in Erinnerung blieb ihm die Diskriminierung, die er erlebte, nicht nur von außen, sondern auch von Menschen, die selbst Geflüchtete waren. Einige waren stark homophob, redeten über Politik und darüber, wer hierherkommen dürfe und wer nicht. Er sprach nicht darüber, er wusste, es würde nichts bringen.

Foto: Maan Moussli
Manchmal reagierte er einfach mit Schweigen und einem direkten Blick in die Augen seines Gegenübers, ein stilles Stoppsignal. „Ich wusste, wenn ich diskutieren würde, würde es eskalieren, also habe ich einfach nichts gesagt.“ Dann war da sein Mitbewohner. Ein Mann, der ihn von Anfang an mit abfälligen Bemerkungen überschüttete. Es war hart, in einem Raum mit jemandem zu sein, der ihn so sehr ablehnte. Doch er passte sich an, blieb vorsichtig, schlief oft nicht im Zimmer, vermied die Konfrontation. Das System selbst machte es nicht einfacher, Dublin-Verfahren, Abschiebebescheide, Anwälte, Gerichtspapiere, all das war eine überwältigende Flut an neuen Informationen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich keinerlei Kontrolle mehr über mein eigenes Leben hatte. Alles passierte einfach und ich konnte nur reagieren.“
Er war gerade einmal 20 Jahre alt, als er nach Deutschland kam. Ein Alter, in dem viele Menschen gerade erst anfangen, sich selbst zu finden, zu studieren, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Für ihn bestand das Leben stattdessen aus Unsicherheit, Angst und dem ständigen Kampf, irgendwo ankommen zu dürfen. Dann kam der Moment im Erstaufnahmelager. Er hatte sich für drei Tage nicht blicken lassen, war bei einem Freund untergekommen. Als er zurückkam, wurde er von der Wache abgefangen, zur Ausländerbehörde gebracht. Dort versicherten sie ihm, es sei alles in Ordnung. Bis plötzlich zwei Männer den Raum betraten, mir Handschellen anlegten und erklärten, was als Nächstes passieren würde. „In diesem Moment wusste ich, dass sie mich abschieben wollten. Sie sagten, sie glaubten mir, aber ich müsse nun jeden Tag erscheinen, damit sie mich jederzeit mitnehmen könnten.“ Er wusste damals nicht, dass das Anlegen der Handschellen rechtswidrig war“. Er legte keinen Widerspruch ein, stellte keine Beschwerde „Ich hatte einfach keine Kraft dazu. Ich wollte nur überleben.“ Heute würde er anders handeln, sich rechtlich wehren.
Doch es kam nicht dazu. Am Tag der Abschiebung war er nicht da. Und dann eine Entscheidung, ein Moment, der alles änderte. Er suchte Zuflucht im Kirchenasyl. Dort bekam er rechtlichen Beistand und begann, gegen das Dublin-Verfahren zu kämpfen. Wochen der Unsicherheit, doch dann die erlösende Nachricht: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärte den Selbsteintritt, Deutschland übernahm sein Asylverfahren. „Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht wirklich eine Chance habe.“
Es folgten Jahre des Wartens. Er baute sich langsam eine neue Existenz auf, durchlief das Studienkolleg, begann sein Studium. Und dann, Jahre später, erhielt er die endgültige Entscheidung: Flüchtlingsschutz, die höchste Schutzform im Asylverfahren. „Es war dieser eine Moment, als ich wusste: Jetzt kann ich wirklich hierbleiben und mich in Sicherheit befinden. Denn in meinem Herkunftsland, bedeutet es Lebensgefahr, homosexuell zu sein.“ Ihre Existenz wird verleugnet. Die Gefahr von Seiten der Verwandten, die Verfolgung durch staatliche Behörden und nicht zuletzt die Verschärfung der Gesetze zur Rechtfertigung dieser Verfolgungen machten das Leben unerträglich und sinnlos.
In Deutschland neben seinem Studium, engagierte er sich ehrenamtlich. Er wollte nicht nur seine eigene Situation verbessern, sondern auch anderen helfen, die in ähnlichen Situationen steckten. Mit der Zeit bildete er sich gezielt weiter, insbesondere im sozialen und aufenthaltsrechtlichen Bereich. Durch Fachberatungsstellen lernte er, komplexe Verfahren zu verstehen, brachte die Anliegen von Ratsuchenden dorthin, begleitete sie durch ihre Prozesse. „Ich wusste, wie es sich anfühlt, völlig hilflos zu sein, deshalb wollte ich anderen helfen, damit sie sich nicht allein fühlen müssen.“
Durch dieses Engagement wurde er zu einem wichtigen Multiplikator für die Beratungsstellen, arbeitete über Jahre hinweg mit Fachleuten zusammen, unterstützte bei Anträgen, rechtlichen Verfahren, behördlichen Wegen. Er wurde zu einer Brücke zwischen Hilfesuchenden und denen, die helfen konnten. Und nebenbei lernte er selbst, nicht nur über das Rechtssystem, sondern auch über die Gesellschaft, über Strukturen und darüber, wie viel eine einzelne Person bewirken kann. Heute sind es nur noch wenige Menschen, die er aktiv begleitet. Menschen, die ihm wichtig geworden sind. Menschen, die auch für ihn da sind. Die Arbeit mit Geflüchteten führte ihn zu neuen Begegnungen, auch mit Menschen aus der Ukraine. Es war anders, aber er half, so wie er konnte. Doch mit der Zeit erkannte er, dass er auch auf sich selbst achten musste.
Freunde? Er dachte lange, er brauche sie nicht. Der Fokus lag auf dem Ziel, auf dem Weiterkommen. Doch dann merkte er: Menschen kommen und gehen, einige bleiben, andere nicht Und das ist in Ordnung. Der Perfektionismus trieb ihn an, machte ihn aber auch müde. Er wollte lernen, sich zu entspannen, wusste aber nicht wie. Der Gedanke, einfach mal nichts zu tun, fiel ihm schwer. Selbst nach Prüfungen musste er putzen, aufräumen, sich bewegen. Bald fand er einen Job, der ihn erfüllt, wo er mit Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt arbeitet und wo er neue Bekanntschaften findet.
Seine Geschichte ist geprägt von Kämpfen, von Rückschlägen, aber auch von Fortschritt. Und am Ende bleibt die Erkenntnis: Es gibt Menschen, die bleiben, die unterstützen, die einen erinnern, dass es sich lohnt, weiterzumachen. Und vielleicht, irgendwann, wird er lernen, wirklich loszulassen und sich zu entspannen. Aber bis dahin gibt es noch viel zu tun.

