Jehad – Zwischen Ausgrenzung und Stärke

Foto: Maan Moussli

Jehad kommt aus Jordanien. Als sie mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern – gerade einmal drei Jahre, zwei Jahre und sechs Monate alt – nach Deutschland kommt, ist ihr Leben bereits von Verantwortung und Sorge geprägt. „Wir hatten kein schlechtes Leben in Jordanien“, sagt sie. „Aber ein Haus konnten wir uns nicht leisten. Die Kinder waren oft krank, der Stress war groß. So haben wir entschieden zu fliehen – mit der klaren Perspektive: nach ein paar Jahren wollen wir zurück.“
Über Tschechien reist die Familie Ende 1996 als Asylbewerber nach Deutschland ein. Sie durchlaufen das Asylverfahren in Niedersachsen, unterstützt von einem Dolmetscher, an den sich Jehad bis heute erinnert. „Er war so nett zu mir, er hat mir Hoffnung gemacht. Seinen Namen habe ich nie vergessen.“
Doch die Realität in Deutschland ist ein Schock. Das Flüchtlingsheim, in dem sie zunächst untergebracht sind, ist weit entfernt von dem „Paradies“, das sie sich erhofft hat. „Es gab keine vernünftigen sanitären Anlagen, keine Küche, ich musste nach der Geburt immer weit durch die Kälte zur Toilette gehen.“ Hilfe findet sie schließlich bei der Caritas. Mit ihren Kindern läuft sie mehrere Kilometer, um die Beratungsstelle zu erreichen. „Die Frauen dort waren so nett. Beim nächsten Mal bekam ich sogar einen Kinderwagen und Teddybären für meine Kinder.“
Nach sechs Monaten erhält die Familie eine Wohnung in Lengerich im Emsland. Doch auch dort erleben sie Ablehnung. „Ich war die erste Frau mit Kopftuch im Dorf – sofort kannten mich alle. Aber es war nur Fremdenhass und Ausgrenzung.“ Ihr Mann arbeitet beim städtischen Bauhof, die Familie versucht, Fuß zu fassen. Doch in der Enge des Dorfes, wo die Gemeinschaft alles bedeutet, bleibt die Familie allein. „Wir haben dort nur überlebt, nicht gelebt“, sagt Jehad.

Der entscheidende Wendepunkt kommt, als sie für eine Gerichtsanhörung nach Osnabrück fahren. Dort verlieben sie sich sofort in die Stadt – und ziehen hin. „Mein Mann hat nachts gearbeitet und tagsüber Wohnungen gesucht. Als er endlich eine gefunden hat, konnte ich es kaum abwarten. Ich habe sofort alles eingegepackt und wir sind neu gestartet.“
Doch auch in Osnabrück bleibt die Erfahrung von Ausgrenzung. Erst über die Moscheegemeinde und eine Frau, die sie herzlich aufnimmt, findet Jehad Anschluss. „Noch heute sind wir befreundet, und ich bin ihr sehr dankbar.“ Ihre Kinder lernen schnell Deutsch, Jehad selbst bringt ihnen zusätzlich Arabisch bei – nicht nur den eigenen, sondern auch vielen anderen Kindern.
Einen offiziellen Deutschkurs hat Jehad nie besucht. Alles hat sie sich selbst beigebracht – mit Erfolg. Sie besteht den Deutschtest und beginnt, ehrenamtlich zu dolmetschen. Behörden, Krankenhäuser, Rechtsanwälte – überall springt sie ein, wo Frauen aus ihrem Umfeld Hilfe brauchen. „So gerne ich das mache, ich wollte auch Geld verdienen“, sagt sie. Ihr Abschluss als Hebamme wurde in den 1990ern nicht anerkannt. „Man sagte mir: Wofür brauchen Sie einen Job? Kümmern Sie sich um Ihre Kinder, Ihr Mann arbeitet doch.“
Erst Jahre später kann sie über die Caritas als Dolmetscherin arbeiten – in genau dem Beruf, der ihr einst selbst Hoffnung gegeben hat. „Es ist mir wichtig, dass ich alles genau so übersetze, wie ich es höre. Zu oft habe ich erlebt, dass ich als Frau mit Kopftuch, mit Migrationshintergrund, nicht ernst genommen wurde. Dieses Gefühl will ich anderen Menschen ersparen.“
Trotz all ihres Engagements hat sich aus Jehads Sicht in den fast 30 Jahren nicht viel verändert. „Der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit sind nicht mehr oder weniger geworden. Sie sind einfach immer da. Vor 20 Jahren habe ich auf der Straße gehört: ‚Geh weg, wir wollen dich hier nicht.‘ Das höre ich heute immer noch. Auch meine Kinder, die hier geboren sind, perfekt Deutsch sprechen, sogar promoviert haben – nur weil sie ein Kopftuch tragen?“
Eine Szene hat sich in ihr besonders eingebrannt: Bei einem Elternabend wollte sie sich als Elternvertreterin engagieren. Als sie die Hand hob, sagte die Lehrerin: „Nein, Sie besser nicht.“ Erst als eine andere Mutter einschritt, änderte die Lehrerin ihre Meinung. „Jahrelang habe ich so etwas geschluckt“, sagt Jehad. „Das mache ich nicht mehr.“
Heute ist Jehad in Osnabrück fest verwurzelt. Sie hat unzählige Frauen unterstützt, Netzwerke aufgebaut, Sprach- und Kulturbrücken geschlagen. Sie bleibt aktiv, trotz aller Hindernisse. Und sie denkt nicht nur an sich. „Viele Frauen sind arm“, sagt sie. „Sie konnten früher keine Kurse besuchen, hatten keine Zeit, die Sprache zu lernen. Jetzt sind sie 50 oder 60, und das Leben ist doch noch nicht vorbei! Diese Frauen will ich unterstützen, damit sie nicht einsam werden, sondern ihr Leben selbstbewusst leben.“
Jehad ist für viele dieser Frauen längst ein Vorbild – eine Frau, die trotz Ausgrenzung ihren Platz gefunden hat. Und die zeigt: Heimat entsteht dort, wo man bleibt, sich engagiert und nicht aufhört, für andere da zu sein.

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