Mariia – Eine Stimme aus Saporischschja

Als Mariia am 16. März 2022 mit ihren zwei Kindern und der Tochter ihres Bruders die Ukraine verließ, war es kein dramatischer, aber ein schwerer Aufbruch. Die Front war nah, der Krieg nicht zu übersehen. Fünf Tage dauerte ihre Flucht: erst nach Polen, dann Hamburg, schließlich Osnabrück. Dort fanden sie zunächst bei Verwandten Unterkunft. Eineinhalb Monate lebten sie bei einer Frau mit zwei Kindern, die ihnen mit viel Offenheit begegnete. Obwohl sie sich ohne geteilte Sprache kaum verstehen konnten, verständigten sie sich mit Gesten und viel Improvisation. Mariia erinnert sich an diese Zeit wie an ein Zuhause auf Zeit.

Doch das Ankommen in der Fremde war mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Es bedeutete auch Verantwortung: Die 17-jährige Nichte, ohne Eltern in Deutschland, brauchte eine rechtliche Vertretung. Mariia übernahm die Vormundschaft. Unterstützung fand sie in Nadine, der Frau, bei der sie untergekommen war. Sie organisierte rechtliche Beratung und half, das neue Leben zu strukturieren.

Die Kinder fanden schnell Anschluss und besuchten die Ursula-Schule und die Grundschule Westerberg. Mariia jedoch fühlte sich trotz erster Kontakte oft einsam. Ihr Alltag drehte sich um die Familie, das Dasein in der Fremde, das langsame Wachsen in ein neues Leben. Dazu die ständige Sorge um die Situation des Heimatlands. Erst mit dem Eintritt in die ukrainische Gemeinde in Osnabrück fand sie ein Stück Heimat zurück. Im April wurde sie Teil der Musikgruppe Die Wanderer – einer Band, die so vielfältig ist wie die Geschichten ihrer Mitglieder: ein Ägypter, ein afrikanischer Student, der ursprünglich nach Großbritannien kam – und nun auch Mariia. Anfangs sangen sie ukrainische Lieder, dann folgten Stücke in anderen Sprachen. Auf dem Theaterbeach präsentierten sie ein Lied auf Farsi – ein musikalischer Gruß an die Mädchen im Iran.

Mariia selbst ist Pädagogin, spezialisiert auf die Arbeit mit Kindern mit Behinderungen, besonders Autismus. In der Ukraine hielt sie Vorträge auf Konferenzen, arbeitete als Moderatorin und Sängerin. Gemeinsam mit Irina gründete sie in Osnabrück das Projekt Ukrainische Schule. Das ist ein Ort der Begegnung, an dem nicht nur ukrainische, sondern auch deutsche Kinder zusammenkommen, um voneinander zu lernen, einander zu verstehen und den Austausch zwischen den Kulturen zu fördern.

Obwohl Mariia in Osnabrück inzwischen ein festes soziales Netz hat, bleibt ihr Herz zerrissen. Ihre Eltern, Großmutter und ihr Bruder sind noch in Saporischschja – jener Stadt, die nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt liegt. Der Besuch im Sommer war möglich, fiel ihr aber sehr schwer. Ihre Nichte, mittlerweile 17 Jahre alt, entschied sich, bei ihrem Vater in der Ukraine zu bleiben, eine Entscheidung, die niemandem leichtfiel.

Und doch strahlt Mariia eine beeindruckende Energie aus. Begeistert spricht sie von der Offenheit der Menschen, von der Gemeinschaft, die sie in Osnabrück erfahren hat. Sie ist eine, die anpackt, die singt, die organisiert, die Brücken baut – zwischen Ländern, zwischen Sprachen, zwischen Menschen.

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